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Nehmen Sie sich Zeit!

Um den neuen Audi e-tron an der Ladestation aufzuladen, benötigt man 30 Minuten Zeit. Wartezeit? Geschenkte Zeit? Was beeinflusst unser Zeitgefühl eigentlich? Psychologe und Zeitforscher Marc Wittmann über unser Bewusstsein für Zeit.

Aufgezeichnet von: Brigitte Ulmer | Foto: Robert Huber; unsplash.com (Djim Loic, Jason Leung, John Baker)

«Weil wir immer virtueller leben, verlieren wir unser Körpergefühl. Das Gefühl für Zeit ist aber eng mit dem Körperbewusstsein verbunden.»

Mit der technischen Erneuerung geht eine Beschleunigung des Lebenstempos einher.

Die Digitalisierung bringt uns effizientere Abläufe, aber auch ein Gefühl der ständigen Zeitknappheit. Freiwerdende Zeit füllen wir andauernd mit neuen Beschäftigungen und Terminen. Dadurch hat man paradoxerweise nicht das Gefühl, Zeit zu gewinnen, sondern zu verlieren. Durch die rasche Taktung leben wir zukunftsorientierter und denken permanent an den nächsten Schritt. Dadurch ist man weniger in der Gegenwart präsent. In der digitalen Welt verlieren wir das Gegenwartsbewusstsein. Kontrolle über sein Lebenstempo lässt sich gewinnen, wenn man sich kleine Auszeiten erlaubt. Dann kommen die Gedanken wieder. Ritualisierte Pausen während der Tagesgeschäfte helfen, wieder zu sich selbst zu kommen.

Wer wartet, lenkt sich schnell ab. Wir halten Leerzeiten immer weniger gut aus.

Abgelenkt haben wir uns schon immer. Mit Kreuzworträtseln, mit der Gratiszeitung. Aber mit dem Smartphone ist die dauerhafte Zerstreuung noch einfacher geworden. Mit Social Media ist man permanent mit der ganzen Welt verbunden. Es füttert uns nicht nur mit Informationen, sondern auch mit Kontakten zu anderen Menschen. Wenn man aber ständig Input hat, kann man nichts Eigenes mehr generieren. Man muss gewisse Phasen der Langeweile durchleben, um kreativ zu sein. Sich einfach hinsetzen und auf den nächsten Baum schauen. Oft entwickeln sich gerade dann neue Gedanken, wenn man versucht, nichts zu machen.

Der Umgang mit Zeit ist sozial und kulturell unterschiedlich geprägt.

Das Gefühl der Beschleunigung ist mit der industriellen Revolution entstanden. Weil viele Leute in einen Produktionsprozess involviert wurden, musste alles zeitlich genau getaktet sein. In der Agrargesellschaft hatte man viel längere zeitliche Dimensionen. Mit dem digitalen Informationsaustausch und der ständigen Verfügbarkeit für andere werden die Zyklen noch kürzer und die Taktung noch rasanter. Dadurch lebt man weniger in der Gegenwart, und orientiert sich mehr nach der Zukunft. Weil wir quasi ständig virtuell leben, verlieren wir unser Körper- und damit auch unser Zeitgefühl. Zeit hat auch mit dem Körperbewusstsein zu tun. Wo ich mich in meiner Körperlichkeit erlebe, spüre ich mich selbst.