The Highways > Technologie > Audi Magazin > Audi Schweiz

The Highways

Wenn Technologie zunehmend das Autofahren definiert – was wird dann aus den Abenteuerstrassen unserer Jugend?

Text: Angus Frazer | Foto: Ryan Brabazon | Video: AUDI AG

In den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, an einem späten Sommerabend im irischen Ulster, fuhr mein Grossvater bei Mondlicht mit seinem Pferdegespann nach Hause.

Und schlief unterwegs ein. Nach einem langen Arbeitstag auf dem Feld war es kein Wunder, dass er beim rhythmischen Klappern der Hufe einnickte. Das war auch gar kein Problem, denn sein Pferd kannte den Weg nach Hause und brachte meinen Grossvater sicher zurück. Seither hat sich viel geändert.

Heute gibt es schätzungsweise 1,2 Milliarden Autos auf der Erde. Sie bewegen sich ohne menschliches Zutun keinen Millimeter von der Stelle. Beobachter der Branche gehen heute jedoch davon aus, dass schon im Jahr 2025 zehn Millionen selbstfahrende Autos auf unseren Strassen unterwegs sein könnten – von denen viele in der Lage wären, ihre Insassen auch schlafend nach Hause zu bringen. Das erscheint heute noch reichlich utopisch, etwa so wie für meinen Grossvater die Vorstellung, dass das Pferd einmal vollständig durch das Auto­mobil ersetzt werden würde.

In wenigen Monaten kommt mit dem neuen Audi A8 das erste Serienfahrzeug der Welt auf die Strasse, das speziell für hoch automatisiertes Fahren des sogenannten Level 3 entwickelt wurde. Auf Tastendruck kann es in bestimmten Situationen die Teilkontrolle über die Fahrt übernehmen, wobei der Fahrer jederzeit die Möglichkeit behält einzugreifen. Dass eine solche autonome Technologie eine Menge Vorteile mit sich bringt, liegt auf der Hand. Wenn wir je nach Situation von den Fahraufgaben entbunden sind, können wir unsere Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwenden. Doch wie verändert sich durch die zunehmende Autonomie unsere emotionale Beziehung zum Auto? Und wie gehen wir überhaupt sprachlich damit um? «Was für ein Auto fährst du?», dürfte sich erübrigen. Was aber sollen wir stattdessen fragen? «Was für ein Auto fährt dich?»

Level 1:
Die Geschwin­digkeits­regelanlage, die in­zwischen auch den Abstand zum voraus­fahrenden Fahrzeug hält. Der Fahrer ist ver­pflichtet, das Steuer immer in der Hand zu halten und auf den Verkehr zu achten.

Level 2:
In bestimmten Situationen kann das Fahrzeug selbsttätig geradeaus fahren, die Spur halten usw. Die Verantwortung liegt weiterhin aus­schliesslich beim Fahrer.

Werden die Kinder von heute noch vom Autofahren träumen, wenn es kein Lenkrad mehr gibt?

Und ab welchem gesetzlichen Mindestalter darf man eigentlich ein Fahrzeug führen, wenn es in Wahrheit andersherum ist und das Fahrzeug den Menschen führt? In jüngeren Jahren hätte ich eine Welt, in der Autos die Kontrolle übernehmen, als Albtraum empfunden. Doch je älter ich werde, desto mehr ändert sich meine Einstellung dazu, obwohl ich nach wie vor leidenschaftlich gern fahre. Ich habe schon so viele Unfälle gesehen, dass ich autonomes Fahren schon allein wegen des deutlichen Sicherheitsgewinns wünschenswert finde. Jetzt, wo sich meine Neffen als Fahranfänger in den Strassenverkehr begeben, wäre ich durchaus froh, wenn ihre Autos mit einem gewissen Grad an Autonomie für ihre Sicherheit sorgen würden – und sie vor all dem Unfug bewahren, den ich in dem Alter im Auto angestellt habe. Auch für meine Eltern würde ich mir ein autonomes Fahrzeug wünschen, dann wäre das Fahren weniger anstrengend für sie. Aber ob ich selbst eins möchte? Vorerst nicht, wenn ich ehrlich bin. Sicher, jedes Mal, wenn ich in einem nervigen Stau stecke, würde ich das Fahren nur allzu gern dem Auto überlassen. Aber meistens macht mir das mechanische Bedienen des Fahrzeugs doch zu viel Spass. Nach einem langen und anstrengenden Tag im Büro ist das Letzte, was ich tun möchte, im Auto noch mehr Zeit mit E-Mails zu verbringen und dabei gefahren zu werden. Oft kann ich gerade beim aktiven Fahren gut entspannen.

Einsteigen, Mobiltelefon ausschalten, Radio auslassen, die ganze Welt ausschliessen und sich einfach nur auf jeden Gangwechsel, jeden Befehl an Brems- oder Gaspedal, auf jede Lenkbewegung konzentrieren: Das macht mir Spass. Eines Tages kann ich mir ein autonomes Fahrzeug für mich vorstellen. Aber bitte noch nicht jetzt.

Level 3:
Die Systeme können das Fahren besonders auf Autobahnen fast vollständig über­nehmen. Vom Fahrer wird erwartet, dass er in der Lage ist, das Steuer nach einer mehrsekündigen Vorwarnzeit wieder zu übernehmen. Trotz dem hohen Auto­matisierungs­grad muss der Fahrer das Ver­kehrs­geschehen die ganze Zeit über im Blick behalten, um notfalls eingreifen zu können.

Level 4:
Das Fahrzeug bewegt sich überwiegend autonom.

Level 5: Ab jetzt kommen Fahrzeuge ohne Lenkrad aus. Dann kann man im Auto die «25. Stunde» erleben, die Vision von Audi für eine neue Art des Unter­wegs­seins. Realistischer Zeit­rahmen: 2025.

Pilotiertes Fahren und autonomes Fahren sind nicht dasselbe.

Beim pilotierten Fahren kann man immer noch selbst aktiv eingreifen und bleibt gesamtverantwortlich. Im autonomen Fahrzeug übernehmen intelligente Systeme das Fahren komplett. Wird das Level 0 dazu gezählt, unterscheidet man insgesamt sechs Level.

Wobei das ohnehin voraussetzen würde, dass wir in Zukunft immer noch Autos besitzen, was aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der Fall sein wird.

Viel eher werden uns Fahrzeuge auf Zuruf abholen. Einigen von uns wird eine monogame Beziehung mit der Mechanik vielleicht trotzdem lieber sein als eine endlose Reihe unbefriedigender automobiler Dates. Wir könnten sogar an der Schwelle zu einer ganz neuen Dimension emotionaler Bindung ans Automobil stehen, auch wegen der immer weiter gereiften künstlichen Intelligenz. Eine schöne Zukunftsvision.

Neulich habe ich im Radio eine Interpretation von Isaac Asimovs «Ich, der Roboter» gehört. Darin unterhielt sich die Heldin mit ihrem selbstfahrenden Auto. «Habe ich noch Zeit für einen Kaffee?», fragte sie. «Aber sicher», antwortete das Fahrzeug, «dein nächster Termin ist erst um 15 Uhr. Und ich könnte einen Schluck Strom vertragen, während du deinen Kaffee trinkst.» Interessant fand ich dabei die Beziehung zwischen Protagonistin und Auto. Es war fast, als würden sie füreinander sorgen – ein Kaffee für die Fahrerin und eine Ladung Strom für das Fahrzeug. Audi ist davon überzeugt, dass dem Auto in Zukunft eine immer grössere Rolle als persönlicher Assistent zukommen wird. Bis es schliesslich mit zunehmender Intelligenz zu unserem Vertrauten, unserem Freund wird. Aber man stelle sich bloss vor, dass man eines schrecklichen Tages seinem Auto sagen muss, es solle zurück zum Autohaus fahren, weil sein Ersatz schon unterwegs ist. Das wäre tränenrühriger als eine Szene aus Lassie. Deshalb könnte sich das Leben verkomplizieren.

Vielleicht freunde ich mich mit der Technik aber eines Tages doch an. Denn wenn man genau darüber nachdenkt, stellt man fest, dass der Reiz des Fahrens ebenso sehr im Weg und in der Reise liegt wie im Fahren des Autos. Immer wieder werde ich gefragt, welches das tollste Auto ist, das ich je gefahren habe. Dabei müsste die Frage eigentlich lauten, welches die tollste Strasse ist, auf der ich je gefahren bin. Wenn ich wählen dürfte, würde ich lieber mit einem Kleinstwagen in der Nachmittagssonne eine Atlantikstrasse in Norwegen abfahren, als mich mit einem Supersportwagen stundenlang durch den Stadtverkehr zu wühlen. Denn seien wir mal ehrlich, darum geht es doch beim Autofahren seit je: um Freiheit. Ich weiss das, und Sie wissen das. Das Auto gibt uns die Möglichkeit, uns vom Rest der Welt abzusetzen. Wir können fahren, wohin wir wollen, tun, was wir wollen, und einfach ein Stück Unabhängigkeit und Abenteuer spüren. Wenn wir Glück haben und bei guter Gesundheit alt werden, können wir diese Freiheit viele Jahre lang geniessen. Irgendwann aber kommt der Tag, an dem unsere Reaktionen zu langsam und unser Augenlicht oder unsere Nerven zu schwach werden, um uns auf den immer stärker befahrenen Strassen da draussen noch hinters Steuer zu trauen. In einigen Ländern denkt man bereits darüber nach, Führerschein-Pflichttests für Senioren einzuführen. Und wenn sie die Prüfung nicht bestehen? Kein Ausbrechen mehr, keine Freiheit, kein Abenteuer. Vielleicht aber werden wir diese Freiheit nie mehr aufgeben müssen – wenn nämlich das Auto für uns fährt: Mit einem autonomen Fahrzeug können wir die fast vergessenen Abenteuerstrassen unserer Jugend immer wieder aufs Neue erobern.